Berlin hat viele Türme. Den Funkturm und den Fernsehturm, den Turm der Gedächtniskirche und die Kuppel des Berliner Doms, das Rote Rathaus und die Piuskirche. Berlin hat Wassertürme, zum Beispiel in Charlottenburg und am Prenzlauer Berg. Und Berlin hat den Müggelturm.
Der Müggelturm steht auf einem 88 m hohen Berg, dem Kleinen Müggelberg. Der Kleine Müggelberg ist Teil einer bewaldeten Hügelkette im Süden von Berlin. Weil Berlin, geographisch gesprochen, sehr platt ist, zählt jede kleine Erhebung als „Berg“. Die bewaldeten Hügel im Süden von Berlin heißen Müggelberge, weil sie sich neben dem Müggelsee erheben. Neben dem Kleinen Müggelberg gibt es dort natürlich auch den Großen Müggelberg – die höchste Erhebung in ganz Berlin (114 m).
Der Müggelturm, von dem hier die Rede sein soll, ist im vergangenen Jahr 50 Jahre alt geworden. Wie es sich gehört, gab es eine große Feier, und viele Berliner, besonders die aus dem Südosten, sind zum Müggelturm gepilgert wie zu einem alten Bekannten.
Sie tun gut daran, ihren alten Bekannten, den Müggelturm, recht häufig zu besuchen. Denn um den Müggeltum herum sieht es heute so aus:
Das benachbarte Gebäude, früher ein Restaurant und sehr beliebtes Ausflugsziel der Ostberliner — verfällt. Wie an so vielen Orten, vor allem im Osten Berlins, verfällt auch hier die Geschichte. Sie rottet leise vor sich hin.
Vielleicht benötigen die Menschen hier einfach kein Restaurant mehr?, könnte man sich fragen. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube, ein Café hätte keine schlechten Chancen auf dem Kleinen Müggelberg.
Nein, es dürfte einmal mehr das Desinteresse der frühen neunziger Jahre gewesen sein. Das Desinteresse der Menschen an den eigenen Sehenswürdigkeiten. Der schnelle Verkauf und die fehlenden Konzepte. Und später dann die Unfähigkeit der Berliner Politiker.
Der erste Müggelturm sah übrigens so aus:
Er brannte am 19. Mai 1958 ab.
Drei Jahre später stand der neue Müggelturm. Der moderne Bau wurde damals von einem Studentenkollektiv der Kunsthochschule Berlin-Weißensee entworfen. Bis 1990 waren Turm und Restaurant bei den Berlinern begehrt, beliebt, geachtet.
1991 wurden der Müggelturm und das Gelände ringsherum von der Treuhandanstalt verkauft, es ging hin und her, und 1995 wurde das Land Berlin schließlich Eigentümer des Geländes. Berlin stellte den Müggelturm und das Restaurant unter Denkmalschutz. Mehr passierte nicht. Die Nutzungskonzepte kamen und gingen, niemand erhielt den Zuschlag. Mehrmals gab es Pläne, ein Hotel daraus zu machen … nichts.
2007 gingen Turm und Gelände an einen Investor aus Krefeld, der in vier Jahren allerdings nicht ein wirklich baufähiges Konzept vorlegen konnte. Woran das liegt, dazu können nur Vermutungen angestellt werden. In Berlin ist heutzutage nichts leicht. Jedenfalls. Anfang 2012 wurde das Gelände wiederum verkauft, diesmal an einen Investor aus Köpenick. Doch nun muss zunächst der „alte“ Kaufvertrag von 2007 rückabgewickelt werden. Mit dem Krefelder. Und das geschieht vor Gericht.
Der Turm … nun, er steht. Ich weiß nicht, ob er auf etwas wartet.
Und Silvana und Frank?
Lieben sie sich noch?
Wer weiß es schon.
Pardel Lux sagte:
Ach, der Müggelturm auch… Ist es nicht traurig, was Berlin mit seinen alten Bauten macht? Mich erinnert Ihr Beitrag, liebe Autorin, sehr an den Verfall der Teufelsberganlage. So sieht sie mittlerweile aus: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Teufelsberg_ehem_Radaranlage.jpg&filetimestamp=20080311065410 So verfällt zusammen, was zusammen vernachlässigt wird. Vom Flughafen Tempelhof ganz zu schweigen. Kein historisches Bewusstsein mehr! Oder zu wenig Geld dafür. Die falschen Prioritäten überall. Bedauerlich.
ESTIBALIZ sagte:
Guten Tag,
ich bin ein Mädchen, das Deutsch in der Sprachschule von Vitoria studiert. Vor einigen Monaten war ich in der Lesung und fand sie sowie das Buch sehr interessant.
Jetzt schreibe ich Ihnen, weil mein Bruder im August Urlaub in Berlin macht und ich möchte ihm gerne ein Buch über diese Stadt schenken. Leider kann er kein Deutsch. In der Lesung hat uns Tania einige Fotos über die Mauer gezeigt und ein bisschen erklärt. Das war für mich toll. Ich habe im Internet ein Buch über die Mauer gesucht (mit Erklärungen über die Bilder) aber leider keins gefunden…
Könnten Sie mir etwas empfehlen? Auf Englisch ist es möglich.
Vielen Dank im Voraus. Mit freundlichen Grüssen,
Estíbaliz
Autorin sagte:
Ja, geehrter Pardel Lux, die Anlage auf dem Teufelsberg sieht schlimm aus. Das stimmt. Immerhin kann man sie besichtigen, einem Faltblatt habe ich vor einiger Zeit entnommen, dass dort Touren stattfinden, ebenso wie durch den verfallenenden Kulturpark/Spreepark in Plänterwald. Es ist ein Jammer, Pardel! Ich weiß nicht, was diese Berliner Politiker machen. Sie stellen alles unter Denkmalschutz und erklären alles zum Landschaftsschutzgebiet, und dann fröhliches Verrotten! Über das erste preußische Säuglings- und Kinderkrankenhaus – oder was heute davon übrig ist – muss ich auch einmal berichten.
Autorin sagte:
Estíbaliz, ein Buch wie Sie sich das wünschen, das kenne ich leider auch nicht! Natürlich gibt es Bücher über die Mauer und „Mauerkunst“, auch auf Englisch, beispielsweise: http://www.amazon.co.uk/Berliner-Mauer-Kunst-Englisch-Franz%C3%B6sisch/dp/388520634X/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1337634723&sr=8-3 oder http://www.amazon.co.uk/Marc-Luders-East-Gallery-Kerber/dp/3866781598/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1337634723&sr=8-2.
Falls Sie Ihrem Bruder eher einen kleinen Roman schenken möchten, empfehle ich Thomas Brussig: La Avenida del Sol (dt. „Sonnenallee“ – Übersetzung ins Spanische – nicht vorm Titelbild erschrecken!).
Erzählen Sie uns, was Sie am Ende nehmen!